Wie wird man zum Täter?

"Wer sich mit der NS-Zeit befasst, unterliegt einem schweren Irrtum, wenn er sich weigert zu glauben, dass Menschen imstande sind, ganze Bevölkerungen aus Überzeugung zu vernichten, selbst wenn es sich dabei um Menschen handelt, die objektiv keine Bedrohung darstellen. Warum darauf bestehen, dass 'gewöhnliche' Menschen Massenmord unmöglich billigen oder gar an ihm teilnehmen können?

 

Die historische Überlieferung vom Altertum bis zur Gegenwart gibt zahlreiche Beispiele dafür, mit welcher Leichtigkeit Menschen das Leben anderer auslöschen und an deren Tod sogar Freude empfinden können."

 

(aus: Daniel Jonah Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker)

 

Nach Kriegsende fanden ab August 1945 in Deutschland zahlreiche Prozesse gegen die NS-Täter statt. Die Dachauer Prozesse vor amerikanischen Militärgerichten begannen bereits am 15. August 1945 im Internierungslager Dachau, auf dem Gelände des ehemaligen KZ Dachau.

 

Die Nürnberger Prozesse fanden zwischen dem 20. November 1945 und dem 14. April 1949 im Justizpalast Nürnberg statt.

 

Insgesamt wurden von Gerichten der Siegermächte in Deutschland und anderen Ländern wegen NS-Verbrechen etwa 50.000 bis 60.000 Personen verurteilt. In den drei Westzonen sprachen alliierte Militärgerichte insgesamt 5025 deutsche Angeklagte schuldig. In 806 Fällen wurden Todesurteile ausgesprochen, von denen 486 vollstreckt wurden.

 

Zwar waren viele Täter im Rahmen von Kriegshandlungen getötet worden. Die Zahl der tatsächlichen Verbrecher stand allerdings in keinem Verhältnis zur Zahl der Verurteilten. Es kommt hinzu, dass in den Prozessen zwar die schrecklichsten Morde verhandelt wurden. Warum aber Menschen, die bis 1933 ein „normales“ Leben führten, bis 1945 zu Mördern wurden, konnten die Verhöre nur selten klären.

 

Adolf Metzner - ein NS-Täter aus Frankenthal

Adolf Metzner

"Adolf Metzner: Arzt, Leichtathlet, Weltenbummler und Mäzen" war der Titel eines Artikels in einem Frankenthaler Stadtmagazin im Sommer 2009. Die Statue des Läufers mit Staffelholz im Adolf-Metzner-Park erinnere an den Sohn der Stadt, der dieser sein ganzes Leben lang verbunden geblieben sei.



Zufällig entdeckte der Förderverein bei der Durchsicht von Dokumenten den Hinweis, dass Adolf Metzner am 1. September 1933 in die Schutzstaffel (SS) der NSDAP eingetreten ist. Nachforschungen des Fördervereins brachten weitere Informationen.

 

Am 4. Juli 1937 beantragte er in Frankenthal die Aufnahme in die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP). Er erhielt die Mitgliedsnummer 4929068.

 

Am 7. Oktober 1939 wurde Metzner als SS-Untersturmführer in die Waffen-SS einberufen, am 1. August 1940 zum SS-Obersturmführer und am 9. November 1942 zum SS-Hauptsturmführer befördert. Vom 7. Oktober 1939 bis Kriegsende war Metzner in verschiedenen Einheiten und Einrichtungen der Waffen-SS tätig.

 

In mehreren Veranstaltungen problematisierte der Förderverein das Leben Metzners in der NS-Zeit und stellte seine Vorbildfunktion für die heutige Zeit in Frage.

 

Die Täter kamen aus unserer Mitte, auch Adolf Metzner aus Frankenthal.

 

Der Prozess gegen Oskar Gröning

Urteil vom 15. Juli 2015

Die Rampe im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Hier organisierte Oskar Gröning die Verwaltung des Gepäcks der Juden.

Späte Erkenntnis

 

Von Annette Weber

 

Die Konzentrationslager waren Teil der ausgeklügelten, straff organisierten NS-Tötungsmaschinerie. Wer hier Dienst tat, machte sich automatisch schuldig. Das hat das Landgericht Lüneburg richtig erkannt.

 

Ein 94-Jähriger wird zu vier Jahren Haft verurteilt. Das mag absurd klingen und darüber hinaus unmenschlich erscheinen. Dennoch hat das Landgericht Lüneburg mit dem gestrigen Urteil gegen Oskar Gröning nicht nur Rechtsgeschichte geschrieben, sondern auch viel Sensibilität und Augenmaß bewiesen. Es trug nicht nur dem Recht der Opfer und ihrer Angehörigen Rechnung, dass ihre Geschichten endlich gehört wurden, dass ihr Leid nicht ungesühnt blieb. Das Gericht berücksichtigte auch das hohe Alter des Angeklagten, seine Einsicht und seine Reue. Und nicht zuletzt stellte es fest, was schon seit 70 Jahren hätte klar sein und in die Rechtsprechung einfließen müssen: Die Konzentrationslager waren Teil der ausgeklügelten, straff organisierten NS-Tötungsmaschinerie. Wer hier Dienst tat und den Betrieb damit am Laufen hielt, machte sich automatisch schuldig.

 

Der millionenfache Mord an Juden, Behinderten, Sinti und Roma, an Oppositionellen und Homosexuellen sowie an all den anderen Gruppen, die der NS-Ideologie zufolge aus dem „Volkskörper“ entfernt werden mussten, blieb nach 1945 meistens ungesühnt. Nur ein kleiner Teil der zahlreichen Menschen, die zum Funktionieren der Vernichtungsmaschinerie des Dritten Reiches beitrugen, musste sich nach Kriegsende für seine Taten verantworten und seine Verbrechen büßen.

 

Bis weit in die 60er Jahre hinein, versuchten einflussreiche Kreise aus Politik, Wirtschaft und Justiz eine Ahndung der NS-Verbrechen zu konterkarieren oder zu verschleppen. Später verliefen dann viele Verfahren im Sand, weil die Kriterien für (Mit-) Täterschaft und Beihilfe sehr eng gefasst waren. Die Verjährung für Mord und Völkermord wurde erst 1979 völlig aufgehoben.

 

Erst durch den Prozess gegen den KZ-Aufseher John Demjanjuk vor dem Landgericht München geriet Bewegung in die Rechtsprechung. Auch wenn Demjanjuk für seine Zeit in Sobibor keine direkte Beteiligung an Morden nachgewiesen werden konnte, befand das Gericht, dass der Angeklagte einen Beitrag zum Funktionieren der Tötungsmaschinerie geleistet habe – allein durch seine Tätigkeit im Lager und wegen seines Wissens um die dort begangenen Verbrechen.

 

Zuvor hatten nur diejenigen vor Gericht gestellt und verurteilt werden können, die KZ-Häftlinge höchstpersönlich erschossen, zu Tode gefoltert oder ins Gas geschickt hatten. Und die auch noch Zeugen übrig gelassen hatten, die dies vor Gericht glaubhaft bestätigen konnten. Das traf naturgemäß nicht auf sehr viele zu. Die übrigen Täter kamen davon, obwohl auch an ihren Händen Blut klebte. Sie konnten zurückkehren ins bürgerliche Leben, Karriere machen, Familien gründen und in Frieden alt werden. Alles Dinge, die ihren Opfern jedoch versagt blieben.

 

Es ist schon schlimm genug, im Konzentrationslager eingesperrt und gequält zu werden, dort Angehörige und Freunde zu verlieren. Wenn die Täter dann auch noch ungestraft davonkommen, ist das eigentlich nicht mehr auszuhalten. Dass ein deutsches Gericht dieses Unrecht anerkennt und verurteilt, darauf haben Opfer, Überlebende und Angehörige ein Recht. Nur so können sie einen Schlusspunkt setzten unter eine Vergangenheit, die sie wohl nie vergessen können, mit der sie nun aber vielleicht ein wenig besser leben können. Unsagbar traurig ist allerdings, dass es sieben Jahrzehnte brauchte, bis ein solches Urteil den wenigen heute noch lebenden Betroffenen etwas Seelenfrieden zurückgeben konnte.

Traurig ist, dass es 70 Jahre brauchte, bis ein Urteil den Betroffenen etwas Seelenfrieden zurückgeben konnte.

 

Quelle

Ausgabe          Die Rheinpfalz - Ludwigshafener Rundschau - Nr. 162

Datum             Donnerstag, den 16. Juli 2015

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