Kreis- Heil- und Pflegeanstalt Frankenthal
Seit 1811 wurde das Armenhaus in Frankenthal als "erste öffentliche Anstalt zur Verwahrung" der psychisch kranken Menschen in der Pfalz genutzt. Gebäude des früheren Kapuzinerklosters und der ehemaligen Porzellanfabrik wurden für die neue Bestimmung renoviert und neu eingerichtet.
Für die "erste Anstalt zur Verwahrung von Irren im Department Donnersberg" wurde der frühere Polizei- und Gefängnischarakter geändert und in eine Anstalt "für arme Gebrechliche und Kranke aller Art" umgewandelt.
Nach der Eröffnung der Anstalt in Klingenmünster 1857 war Frankenthal für die Versorgung der psychisch Kranken in der nördlichen Hälfte des Regierungsbezirks verantwortlich.
1932 war die "Kreis- Kranken- und Pflegeanstalt" mit 642 Patienten, darunter zirka 130 Kindern und Jugendlichen zwischen sechs und 21 Jahren, voll belegt.
In den etwas mehr als zwölf Jahren nationalsozialistischer Diktatur wurden mindestens 250.000 psychisch Kranke und Behinderte im Rahmen des sogenannten Euthanasieprogramms ermordet. Ärzte und Psychiater waren maßgeblich an der Zwangssterilisierung von bis zu 400.000 vor allem psychisch kranker und geistig behinderter Menschen beteiligt. Jüdische und politisch missliebige Psychiater wurden verfolgt und aus Deutschland vertrieben.
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts diskutierten Ärzte und Gesundheitspolitiker – nicht nur in Deutschland – über mögliche Maßnahmen zur Gesundung des "Volkskörpers", über "Rassenhygiene" und Eugenik. Auch die Sterilisation psychisch Kranker und geistig behinderter Menschen sowie der "Gnadentod" unheilbar Kranker war ein Thema.
Die Geringschätzung, die Ärzte und Gesellschaft psychisch Kranken und geistig behinderten Menschen entgegenbrachten, war während des Ersten Weltkriegs sehr deutlich geworden, als Tausende von Anstaltspatienten verhungerten oder aufgrund von Vernachlässigung starben.
Die Nationalsozialisten griffen denn auch mit dem "Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom 14. Juli 1933 auf einen preußischen Gesetzesentwurf aus der Weimarer Zeit zurück.
Nach der Machtübergabe im Januar 1933 wurde die Frankenthaler Anstalt Teil der NS-Psychiatrie.
Der Großteil des medizinischen, Pflege- und Verwaltungspersonals gehörte Organisationen der NSDAP an. Der "deutsche Gruß" wurde auf dem Anstaltsgelände zur Pflicht. Der Bezug von Waren aus jüdischen Geschäften wurde seit dem 1. Juni 1933 verboten.
Zur Umsetzung des "Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses" vom 14. Juli 1933 gab es in Frankenthal ab Ende März 1934 das Erbgesundheitsgericht Frankenthal.
Bis Ende 1935 wurden 2043 Anträge auf Unfruchtbarmachung gestellt, 1728 Anträge wurden anerkannt.
Als ab 1937 die Zahl der Anträge zurückging, ergriff das Amt für Wohlfahrt des Gaues Saarpfalz der NSDAP zunehmend die Initiative und drängte vor allem die Funktionsträger der Partei, alle Personen zur Anzeige zu bringen, bei denen der Verdacht bestand, dass das Gesetz für sie angewandt werden musste.
Der als überzeugtes Parteimitglied bekannte Eppsteiner Ortsgruppenleiter und Bürgermeister Rudolf Stauffer wird hier in einem besonderen Fall genannt.
Im Alltag der Anstalt gab es immer wieder Situationen, in denen besondere Reaktionen von übergeordneten Einrichtungen und Organisationen gefordert wurden. So sollten Frankenthal und Klingenmünster 1934 als Demonstrationsstätten mit "erbkranken Insassen" genutzt werden. Zu diesem Zeitpunkt gab es allerdings noch Vorbehalte gegenüber solchen Maßnahmen.
Auch bei der Nutzung neuer Behandlungsmethoden kam es im Alltag immer wieder zu Konflikten zwischen den Beteiligten.
Jüdische Patienten
Auf Anregung der Anstaltsdirektion in Klingenmünster verfügte die Gesundheitsabteilung des bayerischen Innenministeriums im Dezember 1938, die Zahl aller jüdischen Patienten in den Kreis-Heil- und Pflegeanstalten zu melden. Aus Frankenthal wurden sechs Frauen und fünf Männer, darunter Clementine Adler aus Neuleinigen, Heinrich Fraenkel aus Roxheim, Emma Löb aus Friedelsheim und Karoline Schulz aus Frankenthal gemeldet. Eine Liste von 1939 wies neun Juden und acht Jüdinnen aus.
Aufgrund eines Runderlasses des Reichministeriums des Innern vom 30. August 1940 forderte die Gesundheitsabteilung des bayerischen Innenministeriums anfangs September 1940 alle bayerischen Heil- und Pflegeanstalten auf, bis zum 14. September 1940 ihre jüdischen Patienten in die als Sammelanstalt für "Volljuden" ausgewählte Anstalt Eglfing-Haar bei München zu überführen. Von dort aus wurden sie in das "Polen-Generalgouvernement" deportiert und dort ermordet. Es ist nicht geklärt, warum die Juden aus der Frankenthaler Anstalt bei dieser Aktion "vergessen" wurden.
Vier Wochen später, am 22. Oktober 1940, wurden aus der Anstalt Frankenthal sechs jüdische Frauen und vier jüdische Männer im Rahmen der "Bürckel-Wagner-Aktion" zusammen mit allen anderen über 6500 jüdischen Frauen, Männern und Kinder aus der Pfalz, Baden und dem Saarland in das Internierungslager Gurs in Südwest-Frankreich deportiert. Clementine Adler starb dort bereits am 25. Oktober 1940, Veronika Fraenkel aus Roxheim am 14. Januar 1943.
Da die schwerkranke Rosa Löb aus Eppstein nicht transportfähig war, wurde sie am 22. Oktober nicht nach Gurs deportiert. Um die Jahreswende 1940/41 entdeckte man in der Berliner Euthanasie-Zentrale das Fehlen der jüdischen Patienten aus Frankenthal beim Sammeltransport vom September 1939. Als letzte jüdische Patientin kam Rosa Löb am 29. Januar 1941 in die Anstalt in Heppenheim. Mit 66 jüdischen Kranken aus Baden wurde sie am 4. Februar nach Hadamar überführt und dort ermordet.
Die "Aktion T4" – der Krankenmord
Die Berliner Zentraldienststelle für die Durchführung der Ermordung tausender Patienten befand sich seit April 1940 in einer Villa in der Tiergartenstraße 4. Die Abkürzung der Adresse mit T 4 wurde zum Namen für die Aktion.
Von hier aus wurden an die Heil- und Pflegeanstalten im Deutschen Reich und in die angegliederten Gebieten Meldebogen versandt, die die mit der Patientenbehandlung betrauten Psychiater vor Ort ausfüllten und schließlich etwa 40 von der Zentrale bestimmte Ärzte begutachteten. Sie entschieden über Leben und Tod, ohne die Kranken persönlich gesehen zu haben. Mit den zum Symbol für die "Euthanasie-Aktion" gewordenen "Grauen Bussen" wurden die durch ein rotes Plus-Zeichen auf ihrem Meldebogen zur Ermordung bestimmten mehr als 70 000 Patienten aus den Heimen abgeholt und zwischen Januar 1940 und August 1941 nach einem kurzen Aufenthalt in "Zwischenanstalten" in den sechs Tötungszentren Grafeneck, Brandenburg, Hartheim, Pirna-Sonnenstein, Bernburg und Hadamar mit Gas ermordet.
In den ersten Kriegsmonaten musste die Anstalt Frankenthal Gebäude als Truppenunterkünfte und zu Sanitätszwecken bereitstellen. Nach Beginn des Überfalls der Wehrmacht auf Frankreich wurden 200 Betten für ein Kriegsgefangenen-Lazarett freigemacht. Diese Entwicklung war eine der Ursachen für die Verlegung von Patienten in andere Anstalten und deren spätere Ermordung in der "Aktion T4". Deshalb dürften auch Patienten aus der Frankenthaler Anstalt unter den Opfer der "Aktion T4" sein.
In etwa 30 "Kinderfachabteilungen" wurden in der NS-Zeit mindestens 5000 physisch und psychisch kranke Kinder und Jugendliche ermordet.
Während die Frankenthaler Anstalt in der Liste der Mordstätten für Kinder – der so genannten "Kinderaktion" nicht genannt wird, wurde laut einiger Dokumente ein Kind aus Frankenthal in der "Kinderfachabteilung" der Heil- und Pflege Anstalt Eichberg bei Wiesbaden ermordet. Weitere sieben Kinder aus der Frankenthaler Anstalt, die ebenfalls dort für Forschungszwecke (zum Beispiel im Rahmen der Zwillingsforschung) ermordet werden sollten, wurden im März 1945 von der US-Armee befreit.
Quelle:
Karl Scherer: Zur Geschichte der Kreis-, Kranken- und Pflegeanstalt Frankenthal 1933 – 1943
in: Frankenthal unterm Hakenkreuz - Eine pfälzische Stadt in der NS-Zeit
Herausgeber: Gerhard Nestler (Stadt Frankenthal); 2004; S. 353 - 368