Familie Rahlson

Ab 1912 wohnte die Familie Rahlson im Foltzring 15.

Die Geschichte der Familie Rahlson ist relativ gut dokumentiert, da Erich Rahlson, der Sohn von Ernst und Anna Rahlson, rechtzeitig in die USA flüchtete. Nach dem Zweiten Weltkrieg besuchte er mehrmals seine Heimatstadt und berichtetete für die Zeitschrift "Frankenhal - einst und jetzt" über seine Familie. Gertrud Wetzel, eine bekannte Frankenthaler Politikerin, hat die Erinnerungen ab 1971 aufgezeichnet.

 

Ernst Rahlson, am 16. Mai 1871 in Berlin geboren, studierte in Bonn und Freiburg Medizin, war Schiffsarzt bei der Hapag, wurde Augenarzt und ließ sich 1898 in Frankenthal nieder, wo er bis 1938 wohnte und praktizierte, bis man ihm seine Anerkennung als Arzt (Approbation) entzog.

 

Sein erstes Domizil war das Haus Kreplie in der Speyerer Straße 50. Seine Mutter führte ihm den Haushalt. Später lebte die Familie in dem von ihr im Jahr 1912 erbauten Haus Foltzring 15.

 

Ernst Rahlson heiratete am 21. November 1912 die Katholikin Anna Mehrle aus

Frankenthal, geboren am 21. September 1888 in Frankenthal. Ihre Eltern waren Karl

Adolf Mehrle und  Katharina Franziska Mehrle.

 

Ernst Rahlson war nicht nur ein tüchtiger Augenarzt, er engagierte sich auch in vielen Organisationen und Initiativen. Er markierte als Student in Freiburg die ersten Wanderpfade im südlichen Schwarzwald. 25 Jahre lang war er Mitglied des Deutsch-Österreichischen Alpenvereins. In der Bayerischen Ärztekammer hat er mitgearbeitet.

 

Im Frankenthaler Casino fungierte er als gewählter Buchkritiker. Als Mitglied und Förderer betätigte er sich in den Dombauvereinigungen von Köln und Mainz.

Er war Mitglied des Vereins für das Deutschtum im Ausland. Kulturell aufgeschlossen war er über 25 Jahre als Abonnent im Nationaltheater Mannheim, das ihn in seinem Jubiläumsbuch erwähnt. Auch bei den Akademiekonzerten in Mannheim und den Konzerten des Pfalzorchesters war er oft Zuhörer.

 

Mittelpunkt des Lebens war für Ernst Rahlson die Liebe zur Musik. Er war ein ausgezeichneter Pianist und musizierte leidenschaftlich gern. Gemeinsam mit seiner Frau sang er im Frankenthaler Cäcilienverein, in dem er auch wichtige Funktionen ausübte.

Augenarzt Dr. Ernst Rahlson

Ernst Rahlson wurde 1938 die Approbation entzogen, der Kreis der Freunde und Patienten war immer kleiner geworden. Die Familie lebte zurückgezogen. Nur wenige "Mutige" fanden noch den Weg zu ihnen. Das Haus wurde verkauft – nicht ganz freiwillig, wie Erich Rahlson berichtete. Von dem Kaufpreis in Höhe von 45 000 Reichsmark durften Ernst Rahlson nur 20 000 Reichsmark ausgezahlt werden.

 

Das Ehepaar zog am 14. Oktober 1938 in die Handschuhsheimer Landstraße 8 nach Heidelberg, gemeinsam mit der Haushälterin Lina. Mit ihr hatte Erich Rahlson auch nach Kriegsende noch Kontakt. Aufgrund der Ausgrenzung und Verfolgung wurde Anna Rahlson krank. Sie starb am 27. Oktober 1939 an einem Herzanfall.

 

Der Schutz, den die sogenannte Mischehe dem jüdischen Partner bot, war nach dem Tod von Anna Rahlson vorbei. Zunächst, so berichtet der Sohn, nahmen ihm die Nazis die Wohnung in der Handschuhsheimer Landstraße weg und er zog in die Kußmaulstrasse. Schließlich wurde Ernst Rahlson auch die treue Haushälterin genommen, die ja "arisch" war und deshalb bei einem Juden nicht mehr arbeiten durfte.

 

Erst Rahlson wurde am 11. Januar 1944 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Sein Todestag ist der 17. Januar 1944.

 

Vor seinem Tod musste er laut Aussage von Erich Rahlson noch den Satz unterschreiben: "Ich bin ein Staatsfeind, und aus diesem Grund verfällt mein Vermögen dem Deutschen Reich."

 

Erich Rahlson

Am 1. September 1913 wurde Erich Rahlson geboren.

 

Seine frühesten Kindheitserinnerungen verbinden sich mit dem Ersten Weltkrieg: Fliegerangriff, der Abschuss eines feindlichen Flugzeugs durch einen deutschen Kampfflieger, die Musterung von Pferden für die Front im Foltzring, der Rückmarsch der deutschen Truppen. Auf dem Bordstein sitzend bestaunte das Kind die "exotische Schar" der einmarschierenden Senegalesen, Spahis, Fremdenlegionäre, hört die fremden Klänge der Clairons. Französische Einquartierung im Elternhaus und bei Großmutter Rahlson in der Gartenstraße machen die Besatzungszeit zu einem persönlichen Erlebnis. 

 

An die vier Volksschuljahre und an den Lehrer Ludwig Baier erinnert sich Erich Rahlson mit positiven Gefühlen.

 

Die Gymnasialzeit bringt während der Entwicklungsjahre einige Schwierigkeiten. Da sind Terrarium- und Aquariumsverein, Pfadfinderbewegung und Alpenverein, Ruderverein und Tennisclub sowie eine frühe junge Liebe viel wichtiger als die ungeliebten Schulaufgaben. Am Frankenthaler Progymnasium sind ihm die zwei Lehrer Hecht und Sturm sehr behilflich. Mit Karl Hecht stand Erich Rahlson bis zu dessen Tod in enger Verbindung.

 

Dann kommt Rahlson nach Ludwigshafen in die Schule. Die Untersekunda im Humanistischen Gymnasium besucht er mit der bekannten früheren Frankenthaler Politikerin Gertud Wetzel. Sie erinnert sich: "Wir hatten einen Sadisten als Klassenlehrer vor uns und die Angst vor dem drohenden Nationalsozialismus im Nacken."

 

Schließlich besteht Erich Rahlson das staatliche Abitur mit Erfolg in Karlsruhe, aber der Beginn der NS-Diktatur versperrte den Weg zur Universität. Ein großzügiger NS-Studentenführer ermöglicht noch das Ingenieursstudium an der Mannheimer Ingenieursschule und den erfolgreichen Abschluss.

 

"Doch der Weg in die Verfolgung und Isolation hatte bereits begonnen", schreibt Gerturd Wetzel: "An die Hauswand wurde groß 'Saujud' geschmiert, die Mutter wurde krank vor Angst und Gram. Trost in diesen Jahren gaben der kleine Freundeskreis in der 'Grotte' von Peter Wenz und das literarische Gespräch bei Karl Bechtelsheimer in seiner Buchhandlung mit dem gemütlichen Wohnzimmer hinter dem Laden."

 

Im Sommer 1938 fuhr Erich Rahlson nach einer kurzen Ausbildung beim 9. Pionierbataillon in Worms für drei Monate nach Amerika zu seinem Onkel. Und - Grausamkeit des Schicksals - am 9. November 1938 fuhr er in der Nacht von Holland nach Deutschland zurück, in jener Nacht, als die Synagogen in Flammen aufgingen und nationalsozialistischer Pöbel die jüdischen Geschäfte ausplünderte und zerstörte.

 

Dieses Fanal verhinderte die versprochene Anstellung als Ingenieur, die der eigentliche Grund seiner Rückkehr war. Einen Halbarier oder Halbjuden einzustellen, das konnte sich keine Firma mehr leisten.

 

Erich Rahlson nahm Abschied von Deutschland und flüchtete nach der "Reichskristallnacht" in die USA. Seine geliebten Eltern sollte er nicht mehr wiedersehen. Es war ein Abschied für immer.

 

Mit vielen Gedichten hat Erich Rahlson versucht, seine leidvollen Erfahrungen zu verarbeiten. 1951, nach seinem ersten Besuch in Frankenthal, schreibt er:

 

"Du fragst, wie können wir zusammen leben,

wenn erst die Sonne durch die Wolken bricht?

Wir können Euch die Freveltat vergeben,

vergessen aber können wir sie nicht."

 

Für die vielen jüdischen Flüchtlinge war die USA kein Paradies. Auch Erich Rahlson musste mit harter Arbeit eine Existenz aufbauen, bis er schließlich ein eigenes Ingenieurbüro in Des Moines im Staat Iowa eröffnete. Im Firmenkopf befindet sich der Eckstein des Frankenthaler Wappens, Erinnerung an die verlorene Heimat.

 

Gertrud Wetzel berichtet:

 

"Privat hatte Erich Rahlson das große Glück, in Amerika eine Lebensgefährtin zu finden, die ihm den Glauben an den Sinn des Lebens und die Fähigkeit zum Glücklichsein wiedergab. Rosemary Stier, Nachfahre deutscher Einwanderer aus Hannover im Jahr 1850, wurde seine Frau und Mutter dreier Kinder, der Söhne Peter und Lance sowie der Tochter Erika. Und alle, Eltern und Kinder, hochmusikalisch. Mutter Rosemary spielt Violoncello. Sie war fast 20 Jahre Cellistin im Des-Moines-Sinfonieorchester und beteiligt sich noch heute oft an Streichquartetten. Peter bläst Posaune und Lance spielt Bassgeige. Er studiert Musik an der Drake-Universität in Des-Moines sowie an der Universität des Staates Indiana.

 

Erich Rahlson ist ein guter Amerikaner geworden, der stolz auf seine neue Heimat ist. Er hat heute einen großen Freundes- und Bekanntenkreis, darunter viele jüdische Auswanderer aus Deutschland. Seine Kinder sind waschechte Amerikaner und inzwischen erwachsene Menschen. Der älteste Sohn, Peter, ist bereits verheiratet – mit einer Rumänin – und hat sein akademisches Studium in Sonderschulpädagogik und Psychologie abgeschlossen. Er ist zurzeit mit seiner Doktorarbeit beschäftigt.

 

Lance gewann das begehrte „Fullbright-Stipendium“ und setzt seit September dieses Jahres sein Studium in Wien fort.

 

Erika studiert Germanistik und steht kurz vor dem Abschluss-Examen. Danach will sie längere Zeit nach Deutschland, um ihre Sprachkenntnisse zu vervollkommenen.

 

Doch die Bindung an des Vaters Heimat ist in ihnen allen lebendig. Erika und Peter besuchten in Deutschland Goethe-Institute zur Erlernung der deutschen Sprache. Und wenn immer den Vater Erich Rahlson oder die Kinder der Weg nach Deutschland oder über Deutschland in andere Länder führte, war ein Besuch in Frankenthal dabei."

 

Die alte Heimat ist ihm "wieder lieb geworden", betont Gertrud Wetzel.

Eine Straße in der Nähe der Frankenthaler Stadtklinik erinnert an den bekannten Augenarzt Ernst Rahlson.