Familie Meisel
Jakob Meisel
http://www.juedisches-laa.at/index.html
http://www.hagalil.com/2017/02/laa-an-der-thaya/
Lina Meisel, geborene Kahn
Edmund Kahn
Elise Meisel
Ernst Hugo Meisel
Jenny Meisel, geborene Zwang
Anna Hermine Meisel
Der Schlosser Jakob Meisel, geboren am 15. April 1869 in Laa an der Thaya, in Niederösterreich an der Grenze zur Tschechischen Republik gelegen, heiratete am 12. Juli 1897 in Frankenthal Lina Kahn, eine Schwester von Edmund Kahn, die am 7. September 1866 in Elmshausen, heute ein Ortsteil der Gemeinde Lautertal im Kreis Bergstraße, zur Welt gekommen war. Die Familie wohnte in der Speyerer Straße 48 (Speierer Straße).
Das junge Paar wohnte anfangs in der Speyerer Straße 48. Laut Adressbuch von 1905 befand sich das Geschäft in der Speierer Straße 48.
Am 27. Juli 1898 kam in Ludwigshafen die Tochter Elise zur Welt, die aber bereits am 3. Februar 1900 in Frankenthal starb. Der einzige Sohn Ernst Hugo wurde am 3. Juli 1900 in Frankenthal geboren; am 7. November 1903 die zweite Tochter Anna Hermine.
Jakob Meisel war zuerst als Schlosser in einer Frankenthaler Firma tätig. Nach einem Betriebsunfall konnte er seinen Beruf nicht mehr ausüben.
Deshalb eröffnete er am 1. November 1901 in der Bahnhofstraße 27 einen Viktualienhandel, der dann in die Sterngasse 3 verlegt wurde.
Im Frühjahr 1911 erhielt Jakob Meisel das Bürgerrecht. Am 4. Juli 1912 zog die Familie Meisel in die Welschgasse 39 und betrieb hier auch den Viktualienhandel. Im Dezember 1913 warben sie mit einer Anzeige in der Frankenthaler Zeitung, dass sie auch Christbäume verkaufen würden. Das Geschäft kam wohl fast zum Stillstand und konnte nur mit Mühe von der Ehefrau aufrecht erhalten werden, als Jakob Meisel und sein Sohn Ernst ab 1. August bzw. 31. Juli 1918 bis 22. November 1918 als Soldaten am 1. Weltkrieg teilnahmen.
Im Sommer 1919 kaufte Jakob Meisel von der Witwe des August Pfeifer das Anwesen Speierer Straße 48 zum Preis von 37.000 Mark (Frankenthaler Zeitung vom 12. August 1919). Hier wohnte die Familie ab dem 1. September 1919 und verlegten auch das Geschäft von der Welschgasse 39 wieder dorthin (Frankenthaler Zeitung vom 9. September 1919). Ernst hatte eine Schlosserlehre absolviert und machte ab dem 6. März 1920 eine Ausbildung zum Kaufmann.
Jakob Meisel, der sich große Mühe gab, seine Kundschaft zuvorkommend zu bedienen, starb am 21. März 1933 in Frankenthal. Sein Grab auf dem neuen Jüdischen Friedhof von Frankenthal trägt keinen Grabstein (siehe auch neuer Jüdischer Friedhof).
Das Viktualiengeschäft führte nun seine Witwe weiter.
Am 23. Januar 1934 meldete die Frankenthaler Zeitung, dass „der ledige Kaufmann Ernst Meisel wegen Beleidigung der Reichsregierung festgenommen und in das Landgerichtsgefängnis eingeliefert wurde.“
Gerhard Meisel, der Sohn vom Kupferschmiede-Obermeister Meisel, sah sich veranlasst, am nächsten Tag in der Frankenthaler Zeitung darauf aufmerksam zu machen, dass „er mit dem Verhafteten nicht personengleich ist.“
Das Sondergericht Frankenthal verurteilte Ernst Meisel zu fünf Monaten Gefängnis (Frankenthaler Zeitung vom 7. Februar 1934). Seine Mutter richtete daraufhin ein Bittschreiben an das Justizministerium in München.
Frankenthal den 14. März 1934
Frau Jakob Meisel Ww.
Frankenthal/Pf.
Speyrerstraße
An das Wohllöbl.(iche) Justitzministerium München
Betr. Gesuch um die Entlassung meines Sohnes Ernst Meisel
Eine tiefbetrübte Mutter erlaubt sich hiermit der titl.(titulierten) Justitzbehörde folgendes ergebens vorzutragen.
Mein Sohn Ernst ist seit 5 Wochen in dem Landsgerichtgefängnis Zweibrücken als Gefangener inhaftiert. Er ist der einzige Ernährer von mir & meiner Tochter. Mein Mann ist seit einem Jahr gestorben & ich selbst bin 67 Jahre alt & durch einen Unfall u(a)m Gehen gehindert. Wir haben uns immer schlecht & recht durchs Leben geschlagen & weder eine Unterstützung vom Staat noch von der Stadt in Anspruch genommen. Mein verstorbener Mann war von Geburt Österreicher & von Beruf Schlosser. Er war jahrzehntelang in einer hiesigen Fabrik tätig, bis er durch eine Krankheit nicht mehr in der Fabrik arbeiten konnte. Wir haben uns dann eine Viktualienhandlung angefangen. Während des Krieges wurde mein Mann zum Hilfsdienst in einer Fabrik herangezogen.
Mein Sohn Ernst ist im Jahre 1900 geboren. Er besuchte die Volksschule & nach Entlassung aus der Schule, kam er als Schlosser in die Lehre. Mit 17 Jahren wurde er durch den Krieg zum Militär eingezogen. Nach Beendigung des Krieges kam er in die Anilinfabrik nach Oppau. Bei der s.zt. (seinerzeitigen) Explosion in Oppau wurde er verschüttet, was ihm lange Zeit nachging. Wegen Arbeitsmangel wurde er dann aus der Anilinfabrik entlassen. Nachdem er einige Jahre arbeitslos war, kam er als Lagerarbeiter zu der Fa. Leonhard Titz A.-G. Frankenthal, woselbst er mehr als 4 Jahre bis zu seiner Verhaftung tätig war. Er war bei seiner Firma insbesondere bei seinen Vorgesetzten sehr beliebt, bis durch den Wechsel in der Firma ein anderer Personalchef kam & der meinen Sohn, weil Nichtarier, in aller erdenklicher Weise (s)chikanierte & ihn mit aller Gewalt entlassen wollte. Wiederholt klagte mein Sohn über schlechte Behandlung & immer wieder ermahnte ich ihn ruhig & zufrieden zu sein, denn wer sollte uns ernähren. Mein Sohn war ein braver ruhiger Mensch, der sich nie politisch betätigte & keiner Partei angehörte & auch nie vorbestraft war.
An dem Unglückstag es war Fastnachtsonntag verkehrte er wie ich hörte mit einigen Freunden in verschiedenen Wirtschaften & kam erst gegen Morgen etwas angetrunken nach Hause. Ich machte ihm deshalb Vorwürfe. Er der sonst immer solid & Ruhig war, kam sicher durch die stetige Drangsalierung seines Vorgesetzten & durch seine bevorstehende Entlassung aus dem Gleichgewicht. Er hat in dieser Nacht viel wirres Zeug geredet, Sachen die er irgendwo aufgefangen hatte & durch die Drangsalierung hervorgerufen, machte er seinem verbittertem Herzen Luft.
Ich beruhigte ihn & er ging in sein Schlafzimmer. Am anderen Tag als er abends nicht nach Hause kam, haben wir nachts überall herumgefragt & hörten erst am anderen Morgen, zu unserem größten Schrecken, daß er verhaftet sei. Er wurde dann vom Sondergericht Frankenthal zu 5 Monate Gefängnis verurteilt, mit der Begründung in fragl.(icher) Nacht im Schlafzimmer seiner Mutter über die Regierung geschimpft zu haben. Wenn seine Einstellung eine böswillige wäre, hätte er sich doch sicher in einer Wirtschaft an diesem Abend geäußert, was aber nicht der Fall war. Er ist sicher das Opfer von Zufällen geworden. Mein Sohn war stets ein ruhiger, braver, wortkarger Mensch, der sich nie politisch betätigt hat, ebenso auch unsere ganze Familie nicht.
Unser Leitmotiv war, sich stets anständig & gerecht durchs Leben zu schlagen.
Ich richte daher die innigste Bitte an hohe Behörde, nehmen Sie Rücksicht auf eine alte tiefbekümmerte Mutter & erlassen sie ihm den Rest der Strafe.
In der Hoffnung auf Erfüllung meiner Bitte, zeichne
Mit aller Hochachtung ergebenst:
Lina Meisel
Die NS-Stadtverwaltung wollten das Haus der Familie Meisel, in der Speyererstraße 48, „kaufen“. Geplant war dieses Eckgebäude abzureißen um die Ackerstraße verbreitern zu können. Die verbreiterte Straße sollte in Richtung des Stadtteil Lauterecken verlängert werden.
Ernst Meisel wollte das Haus nicht verkaufen. Deshalb wurde er von der Stadtverwaltung als sogenannter "Asozialer" klassifiziert. Da er seit seiner Haftentlassung 1934 arbeitslos war konnte man ihn als arbeitsscheu einstufen und so Druck auf ihn und seine Familie ausüben. Bei der Aktion "Arbeitsscheue Reich" des Reichssicherheitshauptamtes im Juni 1938, wurden hauptsächlich "Asoziale Juden" und „unliebsame Bürger“, auch aus der Frankenthaler Region, verhaftet und in Gefängnissen und KZ inhaftiert. Bei dieser Aktion kam Ernst Meisel, am 28. Juni 1938, in das KZ Dachau und von dort in das KZ Buchenwald.
Am 10. November 1938 wütete der NS-Mob auch im Anwesen der Meisels in der Speierer Straße 48. Sie schlugen die Fenster ein, schlitzten die Betten auf, schütteten das Salatöl darüber, warfen die Schränke und die Regale im Laden um und leerten die Sauerkrautfässer auf der Straße aus, so dass das Geschäft ab diesem Tage nicht mehr weitergeführt werden konnte.
Nach der Entlassung aus dem KZ Buchenwald im Mai 1939, wurde er mit seiner Schwester zu dem NS-Oberbürgermeister Scholl geladen und sollte dem Verkauf zustimmen, "...ansonsten könne er sich schnell wieder im Lager wiederfinden… “ (Aussage in einem Brief den Ernst Meisel nach dem Krieg an den Frankenthaler Oberbürgermeister schrieb). Am 7. Mai 1940 „kaufte“ die Stadt Frankenthal das Wohn-/Geschäftshaus in der Speyererstraße wegen „Baufälligkeit des Anwesens.“ Es soll nach dem Zweiten Weltkrieg an den Sohn Ernst Hugo zurückgegeben worden sein, was ohne eine Grundbucheinsicht nicht festzustellen ist.
Kurze Zeit nach seiner Entlassung aus dem KZ Buchenwald und dem „Drohgespräch“ mit Scholl, flüchtete Ernst Meisel, am 16. August 1939, nach England und befand sich im Durchgangslager Richborough in der Grafschaft Kent. Danach wohnte er in Sandwich/England. Dort heiratete er die am 15. April 1915 geborene Jenny Zweig. Ernst Meisel wurde 1940 ausgebürgert (Nr. 93 Liste 180 Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger Nr. 131 vom 7. Juni 1940).
Lina Meisel starb am 18. Februar 1940 in Frankenthal und wurde auf dem neuen Jüdischen Friedhof beerdigt.
Siehe auch neuer Jüdischer Friedhof.
Anna Hermine, die Tochter von Jakob und Lina Meisel kam am 22. Oktober 1940 von Frankenthal aus in das „Camp de Gurs“ und von dort 1941 ins Lager Rivesaltes.
Mit dem Transport Nr. 19 wurde sie vom Durchgangslager Drancy am 14. August 1942 nach Auschwitz verschleppt. Sie ist verschollen.
Ernst Hugo Meisel starb im Februar 1984 in Los Angeles.
Seine Ehefrau war dort bereits am 1. Juni 1980 gestorben.
Quellenangabe:
Landesarchiv Speyer: Brief von Lina Meisel an das Justizministerium in München
Fotos:
US-Einwanderungsbehörde: Dokumente Ernst und Jenny Meisel
Bayrisches Hauptstaatsarchiv München – Kriegsarchiv